Berlin ist eine Stadt, die aus vielen Einzelteilen besteht. Wir haben uns auf die Suche begeben nach den Unterschieden, die uns in verschiedenen Stadtteilen Berlins begegnen. Die Stationen der öffentlichen Verkehrsmittel sind die Ballungszentren der einzelnen Bezirke und offenbaren uns das Gesicht des Kiezes. Gleichzeitig verbinden sie. Wir haben an S- und Ubahn-Stationen, verteilt über die ganze Stadt, eine Person interviewt, die dort wohnt oder viel Zeit verbringt, um zu erfahren was die Station ausmacht, welchen Menschen sie dort begegnen und wie sie sich von den anderen unterscheidet. Dafür haben wir uns vier Stationen ausgesucht, die zumindest was ihren Ruf angeht, sehr verschieden sind. Wir wollten herausfinden, ob sie diesem auch bei genauerem Hinsehen treu bleiben.
Herbert (Name geändert) ca. 35 Jahre alt, hat türkische Vorfahren, wuchs an der Turmstraße auf und wohnt noch immer in Moabit. Er arbeitet in einem kleinen Café direkt an der Turmstraße und wir sprachen mit ihm, um mehr über die Entwicklung dieser Gegend und ihrer heutigen Situation zu erfahren.
Wir: Herbert, hat sich die Turmstraße deiner Meinung nach im Laufe der Zeit verändert?
Herbert: Die Turmstraße hat sich oft verändert. Früher war das hier Ghetto. In jedem Park gab es verschiedene Gruppierungen einer Bande. An der nächsten Straßenecke war die nächste Bande. Auf den Straßen haben wir Breakdance getanzt, wie in den amerikanischen Filmen. Heute ist es hier ganz anders, alles mit Studenten und Touristen voll – und Flüchtlingen halt.
Wir: Würdest du sagen, dass es hier in deiner Kindheit gefährlich war?
Herbert: Das ist für mich schwer zu sagen, denn ich war ja mittendrin. Für mich war das normal. Jemand aus einem anderen Bezirk hätte wahrscheinlich gesagt, dass die Turmstraße ein gefährliches Pflaster ist, obwohl ich das nicht so empfunden habe.
Wir: Empfindest du es heute als sicher hier?
Herbert: Nee. Ich will jetzt nicht schlecht über Flüchtlinge reden, die sind herzlich willkommen, wenn sie wirklich Flüchtlinge sind. Die meisten sinds ja nicht. Und wenn sie sich schon in ihren eigenen Ländern bekriegen, was soll dann in den nächsten 5 Jahren hier abgehen?
Wir: Hast du hier schonmal etwas selbst von Streitigkeiten mitbekommen? Herbert: Ich selbst nicht, aber ich bekomme tagtäglich davon erzählt. Die Leute werden bespuckt und angerempelt. Ich kenne einen schwulen Mann, der direkt am LaGeSo wohnt und er wurde angespuckt und sein Autodach wurde zertreten. Ich habe viele Freunde, die als Sicherheitsleute am LaGeSo und auch in anderen Unterkünften arbeiten und ich höre jeden Tag, was da abgeht. Da sind manche unter den Flüchtlingen, die sagen ganz offen, dass sie die sind, die Köpfe abschlagen. Das sagt ja vor allem eins, nämlich, dass das Leute von der ISIS sind. Einer hat mir sogar erzählt, dass ihm von einem Mann ein Handyvideo gezeigt wurde, worauf dieser selbst einen Kopf in der Hand hält. Da hat unsere Politik eindeutig geschlafen.
Wir: Fällt dir auch was positives zur Turmstraße ein?
Herbert: Heute gibt es hier viel mehr Geschäfte als früher. In der Hinsicht hat sich die Turmstraße gut entwickelt. Es gibt hier auch viel mehr Publikum als früher – verschiedenes Publikum, nicht dieses einfältige.
Wir: Uns wurde letzte Woche erzählt, dass hier anscheinend viele Drogen verkauft werden. Kannst du das bestätigen?
Herbert: Ich wollte letztens durch den Park laufen, ich war noch nichtmal drin da haben die mich schon gefragt, ob ich Drogen kaufen will. Du kannst die auch nicht verhaften, warum auch? Der Knastaufenthalt wird von unseren Steuergeldern bezahlt, abgeschoben werden können sie nicht, sind ja Flüchtlinge.
Wir: Mit welchen drei Worten würdest du die Turmstraße beschreiben?
Herbert:
• Mittelpunkt Berlins
• vielseitig
• zwei Gesichter
Nur drei Stationen weiter, ebenfalls auf der Linie U9 befindet sich der U-Bahnhof Kurfürstendamm. Die Straße, der Hildegard Knef ein eigenes Lied gewidmet bildet trotz seiner Nähe einen Kontrast zur Turmstraße, wie er in Berlin nicht größer sein könnte. Hier trafen wir uns mit Karim. Er ist 23 Jahre alt und arbeitet direkt am Ku’damm bei einer kleinen, aber sehr erfolgreichen Hausverwaltung. Er bestätigt uns einige der wohl größten Klischees des protzigen Ku’damms, überrascht uns am Ende aber mit einem doch sehr positiven Gesamturteil. Auch ihn fragten wir, wie er den Ku’damm mit drei Worten beschreiben würde und seine Antwort lautete:
• bonzig
• touristisch
• „aber eigentlich auch wunderschön“
Hannah ist 26 Jahre alt und hat mit uns über Neukölln und ihre U-Bahn Station Boddinstraße der Linie U8 gesprochen, an der sie wohnt. Für das Masterstudium zog es sie nach Berlin. Wahrscheinlich gibt es hier die besseren Bars für sie. Denn so wie es aussieht, ist es das, was sie am meisten fasziniert. An Neukölln mag sie, dass sie keinen anderen Stadtteil besuchen muss. Hier gibt es alles und das ist meist auch schon sehr fußläufig. Vor ein paar Jahren mag Neukölln ja noch den Ruf eines dreckigen Bezirks gehabt haben und wurde eher mit negativen Dingern, wie den Ausschreitungen an der Rötli-Schule in Verbindung gebracht. Hannah ist einer der jungen Menschen, die Neukölln ein neues, vielleicht hipstereskes Gesicht geben.
Am Ende unserer kleinen Reise haben wir uns in den Osten getraut, da wir dort einen weiteren Kontrastpunkt zu den anderen Stationen vermuteten. Hier haben wir Vicci getroffen, um zu erfahren, ob sie hier tagtäglich mit Nazis konfrontiert ist oder es doch eine ruhige und familienfreundliche Gegend ist. Vicci ist 24 Jahre alt und wohnt am S-Bahnhof Nöldnerplatz. Sie hat Deutsch auf Lehramt studiert und ist vor einem Jahr nach Lichtenberg gezogen. Unwillentlich musste sie den Friedrichshain verlassen. Gleiche Geschichte wie immer; der Vermieter hat sich gemeldet und wollte die junge WG raushaben. So ist Vicci, nicht ganz aus freien Stücken, nach Lichtenberg gekommen, ein Bezirk der eigentlich nicht in Frage für sie kam. Glücklicherweise hatte ihr Freund aber eine Wohnung dort und lebt schon seit 6 Jahren in diesem Teil der Stadt.