Flüchtlinge in Berlin

 

Großstadt ist Inbegriff von gesellschaftlichem Wandel und Bewegung. Besonders in Berlin konvergieren eine große Palette von unterschiedlichen Bedürfnissen, Kulturen und Nationalitäten, welche im Umgang miteinander die Struktur der urbane Räumen, den ‘Charakter’ der Stadt stetig prägen. Als wichtiger Macht-, Wirtschafts- und Kulturort fungiert die Hauptstadt heutzutage auch als Sprungbrett für Geschäftsleute, Studenten, Künstler und Intellektuelle, und wird gleichzeitig zunehmend Zufluchtsort, vor Krieg, Verfolgung und Armut. Die Vielschichtigkeit der Stadt und ihre bereits gemachte Erfahrung im Thema Migration und Integration macht sie zu einem interessanten Ausgangspunkt, um essentielle Fragen um die Flüchtlingskrise zu stellen…….

 

 

Wenn ich über die heutige Bewegung in Berlin nachdenke, kommen mir zuerst die unzähligen kulturellen und künstlerischen Einrichtungen und Angebote in den Sinn, die in ihrer Gesamtheit ein Image, einen Lebensstil einer neuen Generation verkörpern, das momentan große Anziehungskraft auf viele junge Menschen aus aller Welt hat. Dabei ist besonders die kulturelle Durchmischung, Ursache und Ausdruck eines neuen Selbstverständnisses dieser neuen Generation (oder zumindest eines Teils), die mit nationaler Zugehörigkeit, gerade vor dem aktuellen Hintergrund globaler Probleme, nur noch wenig anfangen kann.

 

Parallel dazu stapeln sich zur Zeit Flüchtlingen in Berliner Notunterkünfte, und während die Politik damit beschäftigt ist, verzweifelt, irgendwie die Flüchtlingszahlen zu reduzieren, läuft die Hauptstadt Gefahr alte Fehler im großen Still zu wiederholen. Wobei gerade Berlin, mit seinem so gern verkauften Markenzeichen einer multikulturellen Stadt, der Stadt der Zusammenführung, hier vielleicht die Möglichkeit hätte eine ganz besondere Rolle einzunehmen.

 

 

In diesem Zusammenhang redete ich mit zwei Migranten, die schon lange in Berlin leben, darüber wie sie die Stadt bis heute wahrgenommen haben.

 

Interview mit Herrn Krezsko

 

Herr Krezsko, sie sind 42 Jahre alt in Kutina, Kroatien geboren und 1997 mit ihrem Vater nach Deutschland ausgewandert, wie ist es dazu gekommen.

Es gab zu der Zeit viel zu wenig Arbeit in Koratien. Was auch heute nicht bedeutend besser ist. Ich habe nach meinem Militärdienst Trockenbau gelernt und angefangen immer häufiger und länger in Deutschland zu arbeiten. Mein Vater, der heute 63 ist, wurde 95´ aus dem Dienst entlassen und drohte zu Hause zu versauern. Da hab ich entschieden ihn mit zu nehmen und hier zu bleiben.
Haben Sie sich in Deutschland willkommen gefühlt und hat sich das über die Zeit verändert?

Da ich die Jahre zuvor immer wieder, häufig über sieben Monate, hier war, kannte ich Deutschland schon ein bischen, hatte mich über Arbeitskollegen informiert was ich tun müsste um hier zu bleiben und auch schon angefangen Deutsch zu lernen. Bis dahin war ich eigentlich nur voller Bewunderug für Deutschland gewesen, wo so viel Wohlstand herrschte, das Gefühl von Fortschritt in der Luft lag und es vor allem genug Arbeit gab. Ich hatte zwar, besonders auf der Baustelle, schon Anfeindungen erlebt, selten auch mal offenen Ausländerhass, aber meistens nur unterschwellig. Erst bei den vielen Gängen zu Ämtern und Behörden bekam ich den Eindruck, dass mir tatsächlich Steine in den Weg gelegt wurden und ich nicht wirklich willkomen war. Dieser Eindruck und die Atmosphäre auf der Baustelle haben die ersten Jahre hier sehr schwer gemacht. Es hat ewig gedauert bis ich eine eigene Wohnung hatte und als vagabundierender Handwerker, zum Teil auch in Studenten-WGs, habe ich auch nicht immer die besten Erfahrungen gemacht. Dazu hatte ich meistens meinen Vater im Schlepptau, der am liebsten jede freie Minute nach Kroatien gefahren wäre.
Heute habe ich mit meiner Frau ein kleines Reihenhaus in Kaulsdorf und fühle mich da sehr wohl. Wir haben viele Freunde, einige auch in der Nachbarschaft. Hier fühle ich mich absolut akzeptiert. Auf der Baustelle hat sich allerdings nicht viel verändert.
Und wie ist das bei ihrem Vater?

Mein Vater wohnt die meiste Zeit des Jahres bei meiner Frau und mir und wir arbeiten heute noch zusammen. Er wird nur langsam zu alt für diese harte, körperliche Arbeit und hat nicht mehr so viel Lust. Er fährt bis heute, wann immer er kann, nach Kutina, wo unser altes kleines, leider immer weiter zerfallendes, Häuschen noch steht. Ich versuche zwar meinem Vater zu helfen das Haus, so gut es geht, in Schuss zu halten, finde aber kaum die Zeit dazu.
Er hat leider schon früh aufgegeben sich mit den Behörden zu befassen und auch sein Deutsch ist immer noch sehr schlecht. Ich glaube die ersten Amtsbesuche haben ihn komplett desillusioniert. Er hat danach nie mehr richtig daran geglaubt, dass wir es schaffen würden dauerhaft hier bleiben zu können. Vielleicht wollte er es auch nicht wirklich. Mir wollte er die Hoffnung jedoch nicht nehmen.
Heute machen ich mir große Sorgen um ihn. Er hat nachwievor nur eine Arbeutserlaubnis, keine Rente, keine Ansprüche auf irgenwelche Sozialleistungen und keine Abitionen in Deutschland zu sterben, wie er sagt, wo ich mich zumindest um ihn kümmern könnte. Kroatien ist für ihn immer seine Heimat geblieben.
Denken sie, es wäre in der Verantwortung des deutschen Staates sich um ihren Vater zu kümmern?

Das würde ich so nicht sagen. Mein Vater ist da schon ein spezieller Fall. Ich denke, dass ein Mensch, der über 25 Jahre beim Militär war, im Jugoslavienkrieg gekämpft hat und Dinge gesehen und erlebt hat, die mein Vorstellungsvermögen weit übersteigen, einen Anspruch darauf haben sollte im alter versorgt zu sein. Zumal er bis heute mit mir jeden Tag arbeiten geht, häufig auch am Wochenende. Es wäre in erster Linie in der Verantwortung des kroatischen Staats sich um ihre Soldaten zu kümmern. Aber die haben ihn gerade rechtzeitig entlassen, so das er keine Ansprüche geltend machen konnte. Das er mit 44 es als Hoffnungslos an sah, mit seinem mickrigen Handwerkergehalt in eine Rentenkasse einzuzahlen, und viele Kassen ihn auch nicht hätten haben wollen, kann ich nachvollziehen. Ich habe zwar immer wieder auf ihn eingewirkt es dennoch zu tun, er fühlte sich aber entgültig bestätigt, in seiner Rolle als Verlierer. Da reichen dann schon ein paar herabwürdigende Bemerkungen auf der Baustellle um ihm Tagelang die Laune zu verhageln.
Was denken sie über die vielen Flüchtlinge, die gerade zu uns kommen? Glauben sie eine Integration wird gelingen?

Ich denke das Alter spielt eine große Rolle. Solange man jung und flexilbel ist, sich von der Bürokratie nicht unterkriegen lässt und deutsch lernt, hat man, denke ich, gute Chancen. Ob es allerdins genug Arbeit für alle gibt, wag ich nicht zu beurteilen. Das größere Problem werden die älteren Leute sein, wie z.B. mein Vater damals. Die nicht mehr so flexibel und anpassungsfähig sind und vielleicht auch traumatisiert vom Krieg. Die bräuchten am meisten Hilfe und haben die geringste Perspektive auf Arbeit und Altersvorsorge.
Welche Rolle, meinen sie, spielen kulturelle Unterschiede?

Ich halte das Problem für überbewertet. Solange die Menschen sich fair und gleichberechtigt behandelt fühlen, spielt z.B. religiös motivierte Abgrenzung keine große Rolle. Sie kommt meistens erst zum tragen, wenn sich schon eine Gemeinschaft aus sich ausgegrenzt fühlenden gebildet hat. Das ist aber eher ein Problem von Migranten die schon länger hier sind, wo sich solche Gemeinschaften schon über Jahre hinweg gebildet haben. Deshalb glaube ich, sind die ersten Jahre so wichtig, damit es nicht zu weiteren oder dem Ausbau solcher Parallelgesellschaften kommt. Auch für die zukünftigen Flüchtlinge wird es ganz entscheidend sein, was für ein Situation sie hier vorfinden werden.
Das sehen die Rechten dieses Landes aber anders. In diesem Jahr gab es hunderte Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte und tausende Pegida-Anhänger fürchten sich vor einer Islamisierung ihres Landes. Wie bewerten sie das?

Nun, mein Vater ist davon überzeugt, dass der Faschismus in Deutschland nie ganz ausgemerzt wurde und fürchtet bei jedem Beamten auf einen Nazi zu treffen.
Ich denke das auch hier soziale Ungleicheiten Ursache für den momentanen Erfolg von rechter Propaganda sind. Es wird sich zeigen ob die Politik in der Lage sein wird der deutschen Unterschicht das Gefühl zu vermitteln beachtet zu werden und sich gleichzeitig ausreichend um die Flüchtlinge zu kümmern.

 

 

Interview mit Frau Ertken

 

Frau Ertken, Sie sind im Jahr 1965 aus der Türkei nach Deutschland gezogen, wie ist es dazu gekommen?

In bin in einem kleinen Dorf in der Nähe von Antalya geboren. Wegen den damaligen politischen Unruhen in der Türkei verlor meine Familie größtenteils ihr Grundstück und ich zog gegen den Willen meiner Eltern zunächst nach Istanbul um. Dort lernte ich meinen Mann kennen, der bereits als Schweißer in Duisburg arbeitete. Jedes Jahr im Juni besuchte er mich in Istanbul und erzählte mir von Deutschland. Da die Situation in der Türkei sich gar nicht verbesserte, entschieden wir zu heiraten und zusammen zurück nach Duisburg zu fahren. Damals war es sehr schwer für eine türkische Frau eine Stelle zu bekommen, erst sechs Monaten nach meiner Ankunft bekam ich Arbeit als Näherin in einerTextilfabrik.

 

Sicherlich ein mutiger Schrift für die damalige Zeit… Haben Sie sich in Deutschland willkommen gefühlt? Wie war ihrer erste Eindruck von Deutschland?

Anfangs hatte ich den Eindruck, dass wir in erster Linien herzlich Willkommen waren, in den Fabriken zu arbeiten. Dort verbrachte mein Mann die meisten Zeit seiner ersten Jahren in Duisburg. Ich kümmerte mich um die kleine Wohnung, die wir uns kaum leisten konnten. Da waren unsere Nachbarn nur Türken. Außer bei Behördengängen hatten wir kaum Kontakt zu Deutschen. Uns war damals nicht so wichtig ob wir uns gut oder schlecht fühlten, wir lebten sparsam, unsere Arbeitserlaubnisse waren befristet und letztendlich wollten wir in die Türkei zurückkehren.
Das änderte sich als wir nach Berlin kamen. Mein Mann begann seine Ausbildung als Sozialarbeiter und irgendwann bekam ich eine besser bezahlte Stelle in einem Reisebüro.
Meine zwei Kinder sind in Kreuzberg geboren und zur Schule gegangen, sozusagen mit der Mauer vor der Nase. Bis heute wohnen wir in der gleichen Straße…

 

Warum wurde die Rückkehr in die Türkei irgendwann verworfen?

Kreuzberg war damals nicht der Himmel auf Erden aber es war immerhin besser als in die Türkei. In Berlin erreichten uns die Nachrichten von einem Militärputsch nach dem anderen und hier konnten wir zumindest protestieren. Unmittelbar war die Mauer und keiner dachte daran, hier groß zu investieren. Auch weil wir nur vorübergehend bleiben sollten. Als aber in den 80er Jahren die ersten unserer Freunde freiwillig in die Türkei zurückkehrten und dafür sogar 10.000 Mark dafür bekamen, dachten wir nicht einmal daran, das Angebot zu nehmen.
Viele träumten von der Rückkehr und verpassten gänzlich, was vor ihrer Haustür vorging. Wir hatten schon Kindern, die zur Schule gingen und einen Freundeskreis aufgebaut hatten. Die linken türkischen Kulturzentren und Vereine in unserer Gemeinde haben wir aus eigener Initiative gegründet, auch um die Kinder von der Straße und Kleinkriminalität fern zu halten. Es ist uns nicht immer gelungen aber durch die verschiedene Aktivitäten in diesen Einrichtungen war uns die Heimat doch nah. Wir wollten nicht mehr gehen.

 

Wie hat sich die Situation nach der Wende für Sie in Kreuzberg verändert?

Vor und nach der Wende hatte ich das Glück, immer arbeiten zu können. Das war das Allerwichtigste. Ich kümmerte mich um die Kinder und den Haushalt, dazu habe ich mich ehrenamtlich als sozial Arbeiterin engagiert. Als die Mauer weg war, lag Kreuzberg plötzlich mitten in der Stadt. Dazu sagt mein Mann immer, dass die Mauer auf uns gefallen sei. Weil es sichtbar wurde, wie wenig die Stadtverwaltung sich um Kreuzberg gekümmert hatte. Weil aus dem damaligen Ostberlin Viele auf Arbeitssuche hierher kamen und bevorzugt wurden. Weil wir plötzlich doch zu alt und nicht mehr so nützlich waren. Ich sehe das alles nicht so drastisch, obwohl manches stimmt. Der Bezirk hat sich seitdem ständig geändert.

 

Zum besseren oder schlechteren?

Solche Fragen sind immer schwer zu beantworten, weil Änderungen in meinem Alter schon gemischte Gefühle hervorrufen. Einerseits bin ich froh, dass mehr Menschen nach Kreuzberg gezogen sind und dass der Bezirk schöner wurde. Auf einem Mal gab es Restaurants und kleine Geschäfte überall, in die Schulen flossen mehr Gelder und Kinder mit Migrationshintegrund wurden gefördert. Meine beide Kinder machten Abitur und studierten an der Universität, was damals noch ungewöhnlich war, aber sich zunehmend änderte. Das war gut. Anderseits spüren wir, wie wir zunehmend zur Last werden. Unseren Renten reichen kaum aus und die Miete hört nicht auf zu steigen. Viele Freunde sind umgezogen, aber wo sollten wir hin? Hier wohnen wir seit fast 50 Jahren. Ich hätte niemals geglaubt, das das Kottbusser Tor jemals so viele Menschen anziehen könnte, wie heute.
Was denken sie über die vielen Flüchtlinge, die gerade zu uns kommen? Glauben sie eine Integration wird gelingen?

Denkbar wäre es schon. Aber unter den momentanen Bedingungen habe ich wenig Hoffnung auf Erfolg. Zumindest für die meisten. Die tun mir wirklich leid. Die Stadt schafft es ja noch nichtmal sich um die schon vorhandenen Migranten anständig zu kümmern. Es müssten schon sehr große Maßnahmen ergriffen werde um die Situation wirklich zu verbessern und ich kann nicht erkennen, dass so etwas auf dem weg ist. Ich hoffe nur, dass die Lage in Deutschland, mit steigenden Rechtsradikalismus, nicht irgendwann völlig aus dem Ruder läuft.

 

 

PROJEKT von:

DANIELA RIVAS
ROBERT TRIPPLER